Keineswegs hatte Isabel Lea erwartet, dass sie sich jemals so tief in die Technologie variabler Fonts vergraben würde. Seit die in London lebende Grafikdesignerin jedoch im Mai 2018 mit ihrer Adobe Creative Residency begann, fand sie sich immer wieder an der Schnittstelle zwischen technologischen Experimenten und typografischer Innovation.
Wenn du dich mit dieser Nische noch nicht näher befasst hast, weißt du mit „variablem Font- bzw. Schriftformat“ vermutlich nichts anzufangen. Dieses Format lässt Webfont-Dateien schrumpfen und bietet Unmengen typografischer Variationen. (Du hast für dein Webdesign vergeblich nach einer engen, aber leicht fett gedruckten Version einer Schriftart gesucht? Wenn du einen variablen Font wählst, passt du die Schriftwerte mit CSS ein wenig an und bekommst genau das, was du brauchst.) Dabei reicht das Spektrum variabler Fonts weit über die typografische Anwendung hinaus. Ihr Potenzial in Animationen und anderen Designbereichen ist noch längst nicht vollständig erforscht.
Ihre erste Berührung mit variablen Fonts hatte Isabel auf einem zweiwöchigen Intensivkurs zum Schriftartendesign am Department of Typography der University of Reading. „Wir hatten dort auch einen praktischen Workshop zu variablen Fonts“, erzählt Isabel. „Mein erster Gedanke war: ‚Großartig, ich kann dann auch Schrift pulsieren lassen. Ob ich Schrift wohl auch zu etwas wie Musik pulsieren lassen kann?‘“
Von da an begann Isabel mit ihren ersten, noch unbeholfenen Experimenten: Aus variablen Open-Source-Fonts, ein wenig CSS und ein bisschen JavaScript ließ sie das Wort „LOUD!“ fetter (also lauter) erscheinen, wenn sie in die Hände klatschte. Sie suchte sich einen Softwareentwickler, James Bentley, und begann mit ihm gemeinsam einige ihrer Ideen zur Visualisierung von Sprache zu verwirklichen.
Isabel stellte ihr erstes Experiment auf Twitter – ohne viel Aufhebens zu erwarten. Der Tweet hat heute schon über 1,5 Tausend Likes und eine lange Liste positiver Reaktionen. Typografie- und Tech-Freaks waren von diesem spekulativen Ansatz der Verwendung variabler Fonts geradezu elektrifiziert, während weniger technisch Interessierte von der „Magie“ der Buchstaben, die auf Laute reagierten, fasziniert waren. Das Projekt wurde sogar in einer Diskussion auf der ATypI 2018 vorgestellt, durch die Isabel als das „Mädchen mit der tanzenden Schrift“ bekannt wurde. Dies gab ihr die Zuversicht, mit ihren Untersuchungen fortzufahren. „Was als witziges kleines Experiment begonnen hatte, stellte sich als zukunftsträchtige Idee zu variablen Fonts heraus“, erzählt Isabel.
ÜBERGANG VOM SPIELERISCHEN ZUM PRAKTISCHEN
Beim Adobe Creative Meetup in London am 28. November 2018 konnten die Teilnehmer in einer interaktiven Installation Isabels Experimente selbst ausprobieren. Ein Experiment der Installation bestand aus einem Notebook und einer Webkamera zur Überwachung der Raumbeleuchtung. Hier konnten die Teilnehmer die Helligkeit des Notebook-Displays sowie zwei Schriftvariablen durch Dimmen des Raumlichts steuern. Sobald die Webcam eine Verminderung des Raumlichts feststellte, wurde die Schrift dünner und schwarz, während der Hintergrund heller wurde. Bei hellerem Raumlicht dagegen wurde die Hintergrundfarbe dunkler und der Text erschien wieder in kräftigen weißen Lettern. In einem anderen Experiment ließen sich die Länge und Darstellung der Serifen einer Schrift mit den Dreh- und Schiebereglern eines MIDI-Controllers steuern.
Klicke auf das Bild oben, um ein kurzes Video des Lichtexperiments zu starten. Zum Simulieren einer gedimmten Raumbeleuchtung deckt Isabel die Webcam mit dem Finger ab.
Während Isabels Installation noch rein experimentell war, beschäftigt sie sich inzwischen mit möglichen Anwendungen im wirklichen Leben. Interaktive variable Fonts können sehr wirkungsvolle Elemente im Design von Benutzerschnittstellen, in der Datenvisualisierung wie auch für die Barrierefreiheit sein. „Ich habe mich mit einem Forscher aus Belgien unterhalten, der an Projekten für taube Kinder arbeitet“, erklärt Isabel. „Wenn eine Schrift in Echtzeit auf Lautstärke reagiert und dies durch Fettdruck signalisiert, ist dies ein wertvoller Anhaltspunkt für Schwerhörige, die versuchen, Gesprochenes zu verstehen.“ Einige der wichtigsten Komponenten ihres kreativen Prozesses sind daher auch die Kommunikation und Zusammenarbeit mit Experten aus Bereichen, in denen sie selbst keine Expertin ist. „Du lernst dabei sehr viel und wirst zu neuen Experimenten inspiriert“, erklärt sie.
Die Darstellung der Lettern mit oder ohne Serifen wird hier in Echtzeit durch Dreh- und Schieberegler des MIDI-Controllers gesteuert.
Gegen Ende ihres Jahres als Creative Resident denkt Isabel nun bereits wieder an ihre Arbeit für die Kunden von ATYPICAL, einem Studio, das sie mitgegründet hat. „Für mich war die Residency insofern brillant, als sie mir zeigte, wofür kommerzielle Kunden bereit sind, zu zahlen und welche Art von Projekten von mir erwartet werden. Wir bekommen inzwischen Anfragen für experimentellere Projekte, und ich denke, das ist es, was ich aus meiner Residency mitnehme. Die Menschen sind bereit, Zeit, Geld und Ressourcen in diese Art lebensnahe Anwendungen zu investieren.
Wie in ihren Residency-Projekten geht Isabel auch bei ATYPICAL vieles spielerisch an. „Wir versuchen immer, uns genug Zeit freizuhalten, in der wir uns so etwas wie einen Spielplatz schaffen, auf dem wir losgelöst von den Konsequenzen experimentieren dürfen. Denn so entstehen die besten Ideen“, meint sie. „Das ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit. Wenn das Priorität hat, folgt gute Arbeit von alleine.“
Wohin auch immer sie ihre Experimente führen, wir dürfen in Zukunft noch mehr Überraschungen von Isabel erwarten.
Interessantes über variable Fonts erfährst du auch im Artikel „Variable Fonts Are the Future of Web Type“ von Mandy Michael oder in der MDN Web Docs-Übersicht zu variablen Fonts von Mozilla.
14. März 2019